Buchtipp: Unser Schmerz ist unsere Kraft. Neonazis haben unsere Väter ermordet

Das erste Jugendbuch zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zeichnet in einer leicht verständlichen, gleichermaßen präzisen und informativen Art den Weg der selbstermächtigenden Auseinandersetzung von Angehörigen rassistischer Morde nach. Zum 25. Mal jährte sich in diesem Jahr (2025) der Mord an Enver Şimşek. Elf Jahre lang blieb die Familie im Ungewissen darüber, wie ihr Vater und Ehemann zu Tode kam, wer ihn ermordet hatte. Elf Jahre lang, in denen die Legenden um den von Nazis brutal umgebrachten Blumenhändler aus Schlüchtern, seine Kriminalisierung, die Ermittlungen gegen ihn und seine Familie dazu beitrugen, dass den Angehörigen Solidarität und Mitgefühl verwehrt wurde. 14 Jahre alt war Semiya Şimşek als ihr Vater ermordet wurde. Als sie sechs Jahre später erfährt, dass in Dortmund der Kioskbetreiber Mehmet Kubaşık mit derselben Waffe ermordet wurde wie ihr Vater, werden viele Erinnerungen in ihr wach und sie entscheidet sich mit Gamze Kubaşik, der zu diesem Zeitpunkt 20jährigen Tochter von Mehmet Kubaşik, Kontakt aufzunehmen. Dies ist der Beginn eines gemeinsamen Kampfes um Sichtbarwerdung und Anerkennung und vor allem der Beginn einer Freundschaft, die Dinge ermöglicht, die keine von beiden alleine hätte bewältigen können. Davon zu lesen, gibt Kraft, die zum Teil erschreckenden und oft sehr wütend machende Geschichte des rassistischen Mordens des NSU, seiner schleppenden Aufklärung und die Wirkung auf die Betroffenen nachzuvollziehen.

Wer sich mit diesem Jugendbuch beschäftigt – ob privat, als Jugendliche*r, Lehr- oder Fachkraft in der Jugendarbeit – trägt dazu bei, dass die Opfer des NSU nicht vergessen werden und die Aufmerksamkeit zur Aufarbeitung bestehen bleibt. In Gedächtnisberichten, Chat- und Telefonprotokollen erfahren wir in dem Buch, wie Gamze Kubasik und Semiya Simsek die Geschehnisse damals (und bis heute) erlebt haben. Beide haben es geschafft, aus ihrem Schmerz (auch gemeinsam) zu einem aktivistischen Weg zu finden. Mit ihrem Buch schaffen sie Öffentlichkeit für die Perspektive von Hinterbliebenen und Opfern rechter Gewalt. Sie geben Jugendlichen private Gedanken, aber vor allem auch Fakten an die Hand, die es ihnen ermöglichen, sich selbst damit auseinanderzusetzen und ihre Haltung einzuordnen. Das Jugendbuch eignet sich für Leser*innen ab 14 Jahren. Es ist auch für Erwachsene sehr empfehlenswert. Man kann Gamze Kubaşik und Semiya Şimşek auch zu einer Lesung an die Schule holen: Kontakt