Vom Mitmachen zum Mitbestimmen – Sportvereine und Partizipation als Prinzip der Kinderrechte

14. Mai 2020

Vom Mitmachen zum Mitbestimmen – Sportvereine und Partizipation als Prinzip der Kinderrechte

Sport bietet Kindern und Jugendlichen vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten. Hier können sie mit Gleichaltrigen ihre Freizeit verbringen und selbst gestalten. Der Sportverein ist ein Möglichkeitsraum, in dem Kinderrechte umgesetzt werden können. Der sozioökonomische Status, die Bildungshistorie und Sprachkenntnisse der Kinder, Jugendlichen und ihrer Familien geraten bei der Teilnahme an Sportangeboten im besten Falle in den Hintergrund – der Sport hat hier teils vielversprechendere Möglichkeiten als andere Strukturen, in die Kinder eingebunden sind. Ein Beispiel: Im Sommer 2015 boten zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen geflüchteten Kindern und Jugendlichen schnell, konkret und unbürokratisch Unterstützung und Aktivitäten an – darunter Tausende ehrenamtlich Tätige in hessischen Sportvereinen. In den Sportgruppen engagieren sich nun auch junge, ehemals Geflüchtete und gestalten so das Zusammenleben in ihrer Gemeinde selbst mit. Die UN-Kinderrechtskonvention (KRK) bietet ein hervorragendes Regelwerk, da sie in Deutschland für alle hier lebenden Kinder und Jugendliche gilt, unabhängig von der Staatsbürgerschaft.

Zentrale Bereiche der Kinderrechte entsprechen bereits dem Satzungszweck vieler Sportvereine. Tausende, größtenteils ehrenamtlich tätige Übungsleiter*innen und Funktionsträger*innen in hessischen Sportvereinen sind konstant mit der Verbesserung von Trainingsprogrammen und Angeboten beschäftigt, damit sie für alle Kinder zugänglich sind – unabhängig von ihrer körperlichen Verfassung, Milieuzugehörigkeit, Sprachkenntnissen. Mit ihren Aktivitäten fördern Sportvereine die Entwicklung von Kindern ganzheitlich, beziehen sich dabei aber meist nicht explizit auf die Kinderrechte. Die Sportjugend Hessen, die mehr als 800.000 junge Menschen bis 27 Jahre in Hessen vertritt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Bezug zu den Kinderrechten herauszustellen und die Haltung der Sportvereine entsprechend zu stärken. In Sportvereinen können Kinder demokratisches Handeln einüben. Die Kinder- und Menschenrechte bilden hierfür einen umfassenden Bezugsrahmen. Zudem helfen sie, sich gegen menschenfeindliche Angriffe zu positionieren, denen viele Engagierte zunehmend ausgesetzt sind. Und schließlich stärken die Kinderrechte die Kinder selbst, indem diese sich über ihre Rechte bewusst werden und sie aktiv einfordern.

Vor allem in einem Bereich der Kinderrechte begegnet uns als Sportverband und Trägerin der Jugendbildung aber des Öfteren eine Diskrepanz zwischen „Wissen über…“ und „Anwenden von…“: dem Recht, sich zu informieren, mitzubestimmen und zu sagen, was man denkt. In verschiedenen Bildungsformaten der Sportjugend Hessen wird Wissen über die UN-Kinderrechtskonvention vermittelt. Diese Informationen erhalten in der Regel breite Zustimmung, auch die Übertragung der Konvention auf den Sportkontext wird nachvollzogen und bejaht. Die Übersetzung der abstrakten Zustimmung in konkretes Handeln ist jedoch voraussetzungsvoll. Die Abläufe im Trainings- und Wettkampfbetrieb von Sportvereinen und –verbänden sind historisch gewachsen. Der zentralen Prämisse der KRK („best interest of the child“) steht der Wettkampfgedanke („being the best“) im Leistungssport scheinbar diametral gegenüber. Rückmeldungen in unseren Bildungsveranstaltungen zeigen, dass Engagierte aus Fachverbänden die Gültigkeit der Kinderrechte der verschiedenen Dimensionen – Schutzrechte, Förderrechte, Beteiligungsrechte – anerkennen und die ganzheitliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unterstützen. Die Notwendigkeit, Strukturen in den Sportverbänden grundlegend zu verändern und Wettkampfregeln zu überdenken, verunsichert jedoch Viele. Die Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen werden im Sport (wie in vielen anderen Gesellschaftsbereichen auch) oft verletzt oder nur unzureichend umgesetzt. Nicht alle Sportvereine und -verbände haben strukturelle Formen der Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen geschaffen und gefestigt. Oft gibt es Unsicherheiten und Vorbehalte, wie Kinder und Jugendliche „richtig“ und nachhaltig beteiligt werden können. Selbst wenn Instrumente der Beteiligung in der Vereinssatzung vorgesehen und beschrieben sind, werden diese häufig faktisch nicht gelebt. Die Übergabe von Verantwortung und Entscheidungsbefugnissen an junge Menschen fällt erfahrenen Vereinsverantwortlichen oft schwer. Hinter den scheinbaren Kommunikationsproblemen und Unsicherheiten verbergen sich in manchen Fällen strukturelle Machtungleichgewichte zwischen den in Sportvereinen vertretenen Funktionsebenen und Generationen. Dabei geht es nicht darum, dass Kinder und Jugendliche alles entscheiden und bestehende Formen der Vereinsarbeit komplett umgeplant werden müssen. Die Umsetzung der KRK erfordert aber, die Perspektive von Kindern und Jugendlichen konsequent in allen sie betreffenden Belangen angemessen zu berücksichtigen.

Die zunehmende Sensibilität von Sportvereinen bei der Wahrung des Kindeswohls bzw. Kinderschutzes im Sport bietet einen wichtigen und erfolgversprechenden Weg, die Kinderrechte nachhaltig in Vereinen zu verankern. Eine konkrete Überlegung auf dem Weg zu einer konsequenteren Umsetzung der Kinderrechte in den tatsächlichen Alltag von Kindern und Jugendlichen im Sportkontext ist daher beispielsweise eine Adaption des Konzepts von „Kinderrechteschulen“, wo sich neben dem Lehren der Inhalte der Kinderrechtskonvention das gesamte Kollegium intensiv mit den Kinderrechten auseinandersetzt und es mindestens eine feste Ansprechperson zu dem Thema gibt. Die Aufnahme von Kinderrechten in das Leitbild oder die Satzung und ein begleitendes Fortbildungsangebot für Übungsleiter*innen und Funktionsträger*innen könnten weitere Qualitätsmerkmale von „Kinderrechtevereinen“ sein.

Liebe Leser_innen,

Partizipation liegt als (in Art. 12 formuliertes) grundlegendes Prinzip der gesamten UN-Kinderrechtskonvention zugrunde. Wie weitreichend es ist, wird klar, wenn man sich die Worte des Artikels einmal genau verdeutlicht: Jedes Kind hat das Recht, in allen es berührenden Angelegenheiten seine Meinung nicht nur zu äußern, sondern diese Meinung auch berücksichtigt zu sehen. Welche sind „das Kind berührende“ Angelegenheiten? Diese Frage beantwortet sich aus der Gegenfrage: Welche Angelegenheiten sind es nicht? Kinder sind bei genauer Betrachtung fast überall direkt oder indirekt betroffen: von der Gestaltung des öffentlichen Raumes, den Arbeitsbedingungen der Eltern, der Programmgestaltung von Medien, Klimaschutzmaßnahmen, Einwanderungsgesetzen bis hin zu Hygieneverordnungen. Das „“Kindeswohl“ (im englischen Original: best interest of the child), die Grundbedürfnisse, die für ein gutes Aufwachsen erfüllt sein müssen, sind bei all dem mitzudenken und einzubeziehen. Das bedeutet nicht, dass jedes (politische) Entscheidungsgremium teilweise mit Kindern besetzt sein muss. Doch ihr Wille muss in geeigneter Weise Gehör finden und maßgeblich für die Architektur von Maßnahmen sein: Instrumente sind beispielsweise (kommunale) Kinderparlamente, Kinderbeauftragte, Kindersprechstunden im Nachbarschaftsbüro, die Beteiligung von Schulen und Kitas an der städtischen Projektplanung.

Für jedes einzelne Kind bedeutet das Recht auf Mitbestimmung ein konstantes Lernen von Selbstwirksamkeit, Eigenverantwortung und gegenseitiger Wertschätzung. Es handelt sich dabei um ein „learning by doing“ – Entscheidungsfähigkeit entwickelt sich aus Gelegenheiten zur (Mit-) Entscheidung. Einem Kind, das es von klein auf gewohnt ist, über Dinge, die es betreffen, informiert zu sein und nach seiner Meinung gefragt zu werden, wird auffallen, wenn das nicht geschieht. In der Realität gilt dabei aber auch: So viele Gelegenheiten zur Partizipation es gibt, so viele Reibungsmomente mit diesem Prinzip gibt es – selbst in Räumen, die ganz unmittelbar mit dem Leben von Kindern und Jugendlichen verknüpft sind. Schule hat neben der Beteiligung von Schüler_innen auch ein Curriculum, an das sie sich halten muss. Spielplätze konkurrieren mit Parkmöglichkeiten. Sportvereine sehen sich neben der Umsetzung von Kinderrechten auch Wettkampfzielen verbunden. Die Verankerung der Kinderrechte in den Sportvereinen, über die Alexandra Faulhaber in ihrem Beitrag schreibt, sind ein gutes Beispiel für den spannenden Prozess, scheinbare und echte „Widersprüche“ zu überwinden und dabei alle mitzunehmen. Wie haben Sie das Prinzip der Teilhabe in Ihrer Institution verankert? Welche Hürden hatten Sie dabei zu meistern und wie reagierten die Kinder darauf? Kommentieren Sie mit Ihren Erfahrungen!

Ihre Makista-Redaktion

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Autorin: Alexandra Faulhaber

Alexandra Faulhaber

Alexandra Faulhaber ist Projektkoordinatorin im Projekt „DemoS! – Sport stärkt Demokratie!“ in der Sportjugend Hessen, entwickelt zusammen mit dem DemoS!-Team Bildungsformate im Kontext von Kinder- und Menschenrechten und kritischer Demokratiebildung und ist innerhalb der Sportjugend außerdem im Arbeitsschwerpunkt „Förderung von Demokratie und Partizipation junger Menschen aus allen sozialen Milieus“ aktiv.